Spurwechsler sind durchaus begehrt

Fra­gen an Andrea Rabe

Mein Name ist Andrea Rabe und ich habe 2009 das duale Studium bei der Agentur für Arbeit absolviert. Im Anschluss habe ich verschiedene Tätigkeiten ausgeübt: Berufsberaterin, Fachexpertin für berufskundliche Medien und Teamleiterin. Da ich gerne mit Schülerinnen und Schülern zusammenarbeite und sie bei ihrer Berufswahl unterstützen möchte, bin ich seit 2018 wieder als Berufsberaterin tätig und betreue die Gymnasien der Stadt Soest und Werl sowie die Fachhochschule in Soest.

Sind es eher Leistungsdefizite, die zum Abbruch eines Studiums führen oder falsche Vorstellungen vom Studium? Oder gibt es andere Gründe die überwiegen?
Die Gründe für einen Studienabbruch bzw. -wechsel sind zum einen die falschen Vorstellungen über die Studieninhalte. So hatte ich bereits Beratungen von Studierenden, die im Leistungskurs Mathematik eine 1 hatten und dann begannen Mathematik zu studieren. Ihnen war aber nicht bewusst wie theoretisch das Studium an einer Universität im Fach Mathematik ist. Zum anderen sind es auch die hohen fachlichen Anforderungen; z. B. in Physik für ein Maschinenbaustudium. Auch die persönlichen Anforderungen, die ein Studium mit sich bringt, unterschätzen einige: Mit der neuen Freiheit, sich selbst organisieren zu können, aber auch zu müssen, kommen einige nicht zu recht. In diesen Fällen bespreche ich dann den Wechsel von einer Uni an eine Fachhochschule oder auch in eine Ausbildung. Vermehrt kommen auch Studienabbrecher in meine Beratung, die aufgrund von psychischen Erkrankungen (z. B. Depression), das Studium unterbrechen.

Wie früh (in welchem Semester) kommen die Studenten überwiegend zu Ihnen?
Ich würde mir wünschen, dass die Studierenden bereits bei den ersten Anzeichen zu mir in die Beratung kommen würden. Tatsächlich kommen einige im ersten Semester, um mit mir zu besprechen, was ihnen im Studium nicht gefällt und welche Alternativen es gibt. Vereinzelt suchen mich aber auch Studenten aus höheren Semestern (z.B. 6. Fachsemester) auf, um noch über einen Studienfachwechsel zu sprechen. Allerdings habe ich auch Beratungen von Studierenden, die bereits einen abgeschlossenen Bachelor haben und noch mal einen neuen Studiengang studieren möchten oder einen aufbauenden Masterstudiengang suchen.

Wie viele Studienabbrecher beraten Sie durchschnittlich im Jahr?
Ich würde schätzen ca.: 25.

Sind Studienabbrecher bei Ausbildungsbetrieben grundsätzlich eher begehrt oder gibt es auch bestimmte Vorbehalte auf Seiten der Unternehmen?
Studienabbrecher sind bei Unternehmen durchaus begehrt. Zum Teil wird explizit in den Stellenausschreibungen erwähnt, dass Studienabbrecher gewünscht sind. Ich habe z.B. einen Studienabbrecher, der begonnen hat, Elektrotechnik zu studieren und auch Prüfungen bestanden hat. Er bringt nun neben seiner Hochschulreife auch erste berufsrelevante Kenntnisse für eine Ausbildung zum Elektroniker mit.

Ein Studium gilt nach wie vor als der Garant für eine berufliche (und finanziell aussichtsreiche) Karriere. Nun kommt eine im Februar veröffentlichte Studie des IAW (Institut für Angewandte Wissenschaft Tübingen) aber zu dem Schluss, dass, wer sich nach seiner Ausbildung weiter fortbildet - zum Beispiel indem er später noch einen Meistertitel erwirbt – bis zum Ende seines Erwerbslebens in etwa genauso viel verdient hat, wie ein durchschnittlicher Akademiker. Kommt die nicht-akademische Ausbildung in Deutschland nicht einfach zu schlecht weg?
Hier setzt die Aufgabe als Berufsberaterin an. Wir beraten neutral zum Thema Studium sowie Ausbildung und versuchen auch, die Aufstiegsmöglichkeiten nach einer Ausbildung aufzuzeigen. Beispielsweise ist ein Meister oder Fachwirt in Deutschland dem Bachelorgrad gleichgestellt.

Haben Sie einen Rat für Schulabgänger, wie sie „den richtigen“ Weg – Ausbildung oder Studium - am besten für sich herausfinden können?
Ich finde es ist wichtig, den Schulabgängern zu vermitteln, dass es nicht den „einen“ richtigen Weg gibt und man auch keine Entscheidung für die nächsten 50 Jahre treffen muss. Dies nimmt einigen schon viel Druck. Wichtig ist auch, auf die eigenen Interessen, Fähigkeiten und Wünsche zu achten. Daher sollte man auch in unterschiedliche Berufsbereiche mithilfe von Praktika schnuppern. Gerne unterstützen wir von der Berufsberatung durch individuelle Beratungsgespräche, die wir in der Schule vor Ort oder auch in der Agentur für Arbeit anbieten.